„Ehrenbücher“ als mahnende Quellen zu Kriegsgefallenen
Erinnerungskultur gibt es nicht erst seit gestern, viele haben sich schon darin versucht. Totengedenken bis hin zum Totenkult sind aus dem Leben vieler Völker nicht wegzudenken. Militärs halten bis heute ihr Gedenken an verlorene Kameradinnen und Kameraden in vielerlei Form fest, selbst wenn ihr Einsatz sich als umsonst, ja unsinnig oder gar verbrecherisch herausgestellt hat. Jede Generation muss sich der Suche nach der rechten Art und Weise solcher Erinnerung stellen, erst recht wenn man auch noch zwischen „Tätern“ und „Opfer“ scheiden soll. Der heutige Gedenktag des Waffenstillstandes 1918 ist ein guter Tag dafür, übermorgen ist Volkstrauertag. Waffenstillstand wäre viel, gerade heute.
Nicht zuletzt aus solchen Gründen lagert bis heute nicht nur im Nordhäuser Stadtarchiv ein fragmentarisches „Ehrenbuch“ der hiesigen Kriegsgefallenen des 2. Weltkrieges, das der Aufarbeitung und Auswertung harrt. Auch in den Regalreihen des Archivs der Stadt Benneckenstein, die doch mit Nordhausen bis 1952 eine gemeinsame (hohnsteinsche) Vergangenheit im selben Landkreis hatte, befindet sich ein Buchmanuskript, das nie gedruckt wurde. Denn vor bald 80 Jahren konzipiert, ist beiden „Büchern“ ‚etwas in die Quere gekommen‘: die Nichtverwirklichung des „Endsiegs“, wie der ehrenamtliche Archivar Jürgen Kohlrausch berichtet:
Bei dem Benneckensteiner Manuskript handelt es sich um die Urfassung eines sogenannten „Ehrenbuches“, die Version der zu jener Zeit neu praktizierten Art der Gefallenen-Ehrung, Ehrung jener Wehrmachtssoldaten, die nach NS-Lesart „im heldenhaften Kampf um Deutschlands Freiheit und Größe“ ihr Leben ließen. „Das Ehrenbuch soll wie ein Denkmal, die Erinnerung an die Kriegsteilnehmer dauerhaft ermöglichen und zur Trauerarbeit und Bewältigung der Kriegserlebnisse der betroffenen Generation nach dem Endsieg beitragen.“
Zahlreiche Städte verfolgten im frühen Kriegsverlauf die Absicht, ein solches Ehrenbuch anzulegen, Nordhausen, wie auch Benneckenstein. Um sich über die Modalitäten zu informieren, hatte man im Rathaus eine landesweite Umfrage gestartet, deren Ergebnisse Monate später vorlagen. Demnach hatte „…eine größere Anzahl von Gemeinden in Vorbereitung der Ausgabe eines Ehrenbuches der Gefallenen nach dem Kriege bereits mit der Sammlung von Unterlagen (Personalien, Lichtbild der Gefallenen, Parteizugehörigkeit, Tagebücher und Frontberichte) begonnen.“ Genannt wurden u. a. die Namen von Halberstadt und Nordhausen. In Letzterer hatte Oberbürgermeister Herbert Meyer in seiner Antrittsrede am 9.05.1943 die Anlegung eines solchen Ehrenbuchs angekündigt. Es solle „…in gediegener Handschrift ausgeführt und im Rathaus an würdiger Stelle aufbewahrt werden!“
Außer Lebenslauf und Lichtbild wurden auch Feldpostbriefe, Auszeichnungen und Benachrichtigungen der Truppe für den Buchinhalt empfohlen. Die betroffenen Eltern bekamen Fragebögen ausgehändigt. Der Erstellung des jeweiligen Persönlichkeitsbildes dienlich sei: „…eine möglichst erschöpfende Aufarbeitung des gesamten erreichbaren Materials über die Gefallenen“. Und: Es solle insgesamt eine „…nach künstlerischen Gesichtspunkten geformte Darstellung ins Auge gefasst werden.“
Die Stadt Mühlhausen im Elsass favorisierte die Aufbewahrung des fertigen Ehrenbuches in einem künstlerisch gestalteten Schrein. Stralsund beabsichtigte, die Namen ihrer Gefallenen in Schweinsleder niederzuschreiben und aus der Gemeinde Weißensee war zu vernehmen, dass man hier das Buch in kunstgewerblich ausgeführter Arbeit auszuführen beabsichtige. In Gelsenkirchen wollte man die gesamte Künstlerschaft auffordern, Gestaltungsvorschläge einzureichen. Aus Krems an der Donau war sogar folgendes Ansinnen zu vernehmen: „Hinsichtlich der künftigen Aufbewahrung und öffentlichen Auslegung des Ehrenbuches der Gefallenen soll dieses in einem würdigen Raum, wo es jederzeit zur ehrfürchtigen Einsichtnahme zur Verfügung steht, aufbewahrt werden. Alljährlich zum Heldengedenktag wird es auf dem Rathaus öffentlich ausgelegt.“
Der Ausübung dieser Art des Gefallenen-Gedenkens waren scheinbar keine Grenzen gesetzt. Dabei lag dem Kult ursprünglich eine wesentlich schlichtere Motivation zugrunde: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden allerorts, selbst in den kleinsten Gemeinden, Denkmäler mit den Namen der gefallenen und vermissten Kriegsteilnehmer errichtet. In den Städten hingegen war dies der hohen Anzahl wegen kaum möglich. Aus diesem Grund legte man dort die Erhebungen von Namen in schriftlicher Form nieder, eben in „Ehrenbüchern“.
In Nordhausen wie Benneckenstein ist es des verlorenen Krieges wegen nicht mehr zur Realisierung dieser Buchprojekte gekommen. Die Erhebungen der Benneckensteiner Gefallenen endeten im August 1944 mit der laufenden Nummer 78. Die Vermisstenliste umfasst nochmals 40 Namen. Benneckenstein hatte allerdings bis zum 15.04.1945 noch weit mehr Opfer zu beklagen. Die Privatleute Eva und Arno See ermittelten um 1995, verbunden mit einer Spendenaktion zum Bau einer Mahn- und Gedenkstätte, insgesamt 150 Namen. Ähnlich klärende Recherchen sind in Nordhausen noch zu leisten, aber sie sind schon unterwegs.
Die Akte mit dem Titel „Nachweisung der Gefallenen im jetzigen Kriege, welche vor ihrer Einziehung in Benneckenstein wohnhaft waren“ ist 1944 unerledigt im Archiv abgelegt worden. Die aufwendige Herstellung des Manuskriptes durch die Ratsmänner Werner und Neidt – als Stellvertreter des ins besetzte Polen abkommandierten Bürgermeisters Walther Bock – war allerdings nicht umsonst. Heute gestatten uns die darin enthaltenen Feldpostbriefe, Frontmitteilungen und Fotos intime Einblicke in die Gefühlswelten der Männer, die mit falschen Idealen verführt, für einem sinnlosen Krieg missbraucht, in fremder Erde begraben und in der Heimat zu Helden stilisiert wurden.
Auch zum Volkstrauertag 2022 wird ihrer wieder gedacht werden, hoffentlich umso lebhafter aufgrund des jetzt im Osten des Kontinents hin und her wogenden Krieges.
Zwei Briefe von der damaligen Front:
Brief des Schwadronschefs Kurzai an die Eltern von Horst Würtenbächer:
„Hierdurch erfülle ich die traurige Pflicht, Ihnen den Tod Ihres Sohnes (…) mitzuteilen. Er starb den Heldentod in höchster Erfüllung seiner soldatischen Pflicht, getreu seinem Fahneneide, bei dem Abschuß eines deutschen Flugzeuges, zu dessen Besatzung er gehörte. Ich spreche Ihnen zugleich im Namen meiner Schwadron meine wärmste Anteilnahme aus. Möge Ihnen die Gewißheit, daß Ihr Sohn sein Leben für den Bestand und die Größe unseres Vaterlandes hingab, ein Trost in dem schweren Leid sein (…) Dem Toten abgenommenen Wert- und Erinnerungsstücke werden Ihnen in den nächsten Tagen zugehen.“
Letzter Brief von Helmut Unger vom 28.05.1940 aus Sedan:
„Auf einem Baumstumpf im Westen. Meine lieben Eltern, liebe Omama und Hansi! Wir sind durch schöne Gegenden gekommen, wohl die schönsten in Deutschland und nun hier gelandet. Habt recht herzlichen Dank für Euren lieben Brief. Auch vielen Dank für die Marken. Leider kann ich die hier nicht mehr gebrauchen. Auch kein Geld mehr, damit kann ich hier nichts anfangen. (…) Ich bin froh, daß wir nun endlich zum Ausmarsch gekommen sind. Dachte schon, wir mußten das Kriegsende auf dem Truppenübungsplatz abwarten, und das wäre für uns aktiven Soldaten beschämend. Wie geht es Euch allen Lieben? Hoffentlich noch alles gesund, auch die Omama und Hansi“ (…). Macht Euch nicht zuviel Sorgen, besonders die Mutti, Bange machen gilt hier nicht. Was kommen soll, ist nicht abzuwenden. Schreibt bitte bald wieder und die herzlichsten Grüße aus Feindesland sendet Euch Euer lieber Helmut.“ [Drei Tage später ist Helmut Unger schwer verwundet worden. An Folgen verstarb er nach zwei Tagen.]