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Beitrag von: Dr. Wolfram G. Theilemann

„Was tadelt Ihr an uns, was Ihr nicht selber ärger treibet?“

Eine nicht ganz unzeitgemäße Hochzeitslektion aus Nordhausen 1743.

Am 24.09.1743 heiratete in Nordhausen der Handelsmann und Kollektor Friedrich Christian Wolfram (1720-1796) am kgl. preußischen Kollekturhof in Nordhausen. Mit 23 Jahren war der Bräutigam jung und unternehmungslustig und hatte erst zwei Monate zuvor das Nordhäuser reichsstädtische Bürgerrecht erworben. Zudem stammte er aus einer schon mindestens seit 200 Jahren hier ansässigen und vielfach bekannten Familie (auch Wolfframm). Die Braut bei dem, wie man damals sagte, „Hochzeit-Festin“ war die 27-jährige Dorothea Sophie (1716-1775) geb. Schwoppe (auch Schwabbe), die freilich schon etwas mehr von der Welt gesehen hatte. Angesichts der gemeinhin fröhlichen Südharzer Festlichkeit in der – seit 1715 endlich wirklich – freien und Reichs-Stadt Nordhausen fertigten sowohl die zwei Stiefbrüder der Braut, als auch „zwei ungenannte gute Freundin(nen)“ Gratulationsgedichte an. Festgedichte waren – wie heute noch Karnevalsreden – eine hochpopuläre und der Festgesellschaft gern rezitierte Ausdrucksform für mancherlei versteckte Anspielungen oder vielleicht sonst schwerer Sagbares.

Die Stiefbrüder blieben mit ihrem Text eher im üblichen Rahmen.

Hochzeitsgedicht der Stiefbrüder der Braut, 1743.

Die Freundinnen hingegen dürften ob ihrer offenen Rede, treffenden Witzes und schalkhaften Mutes zur Konfrontation heute noch allen Hörern Respekt und Einsicht abnötigen. Und präsentierten sie sich vielleicht in Verkleidung oder gab es gar einen ‚Skandal‘ mit Saalschlacht ???

Man bedenke, das Nordhäuser Festessen, also der „Hochzeits-Festin“ fand in einer sehr fröhlichen, wenn auch nur kurzen Friedenspause nach dem Ende des (1.) Schlesischen (Raub-)Krieges statt. Die Nordhäuser Hochzeitsgäste waren unbeschadet davongekommen und freuten sich der überstandenen Gefahren aus dem nahen Osten. Und zugleich lebten sie schon die Zeit des Rokoko voll scherzhafter „Leichtigkeit des Seins“ und gelegentlich frivoler Anmut – österreichisch-elegant oft auch: Rock me Amadeus“ genannt.

Wie damals in Nordhausen öffentlich altdeutscher Klartext zum Thema Geschlechtergerechtigkeit gesprochen wurde, zeigen die im Stadtarchiv bewahrte Hochzeitsdrucke. Honni soit, qui mal y pense, zugleich ein Kalenderblatt zum Internationalen Frauentag 2022.

Hochzeitsgedicht der Freundinnen der Braut, 1734.

„Nun hat man lang genug die Unschuld ausgespottet, und mit so manchem Fehl ihr weisses Kleid befleckt. Die Bosheit hat sich recht zur Arglist hingerottet, und mit verlognem Stoff die eigne Schand bedeckt. Das Frauenzimmer muss des Manns-Volcks Märtrer heisen, und was es denckt und thut, wird alles ausgehöhnt: Wir wollen Ihnen auch das Lob jetzt einmal preisen, würd Ihnen doch hierdurch die Schmähsucht abgewöhnt!

Es ist recht abgeschmackt, wenn sie was thörigt schelten, so wird es ohne Scheu was weibisches genennt: Ihr armen Sünder Ihr, was seyd ihr doch für Helden, bey Euch hat ja der Witz – mit Gunst ! – das Maul verbrennt. Wißt Ihr, was weibisch heißt? Dies führt allein den Nahmen, was artig, tugendhaft und recht verständig ist. Wie manche unter uns sitzt bey dem schlechten Rahmen, die weit gescheider denckt, als euer Klügster schließt.

Wo paaret sich der Witz mit der so seltnen Tugend? Wo trift man – sagt einmahl ! – den rechten Wohlstand an ? Bey euch? Ja hinten um! Bey uns hat euch die Jugend es sonder Streit schon längst darinn zuvor gethan. Wenn ihr was gutes zeigt, wem habt ihr es zu dancken? Von eurer Mutter Witz kommt Eure Klugheit her. Wer lernt Euch artig seyn, wer sezt Euch Maas und Schrancken? Tuht Ihr es von euch selbst? Ja wenns bewiesen wär! Was tadelt Ihr an uns, was Ihr nicht ärger treibet? Das leugnen wir gar nicht, daß wir auch Menschen seyn. Allein, so lange doch die Wahrheit Wahrheit bleibet, so lange räumt sie uns den Vorzug vor Euch ein!

Wer ist so tändelhaft, als wie manch Manns-Gezippe, wie viele Lapperey zeigt sich in ihrem Thun? Der beste ist gar oft noch ärger als Xantippe, die für Ihr böses Maul nicht kan im Grabe ruhn. Sie sind dem Wesen nach gemeiniglich von Flandern, der Liebe Unbestand ist ihr Geburts-Planet. Von einem losen Stück gerathen sie zum andern, und da geht’s gut genug, wenns nur frey bund hergetht.

Wir lassen sie gar gern bey ihrem Handwerck bleiben, wer nähm sich wohl die Müh und ahmte Ihnen nach? Allein, was sie nur sehn, das müssen sie gleich treiben, es lieget Ihre Hand im Vorwitz niemahls brach. Da schleicht sich einer hin, und will nun lernen kochen, wenn Er im Laden solt bey seinen Käufern seyn. Doch hat er nicht so bald den Küchen-Rauch gerochen, so fält Ihm wiederum schon etwas anders ein: Der nimmt die Nadeln vor, fängt emsig an zu stricken, und eh man sichs versieht, wirfft er sie wieder hin. Warum? Herr Ungelenck kann sich in gar nichts schicken, Und dennoch macht er sich in allen Sachen grün. Ein andrer übet sich den Zwirn recht einzufädeln, und schickt sich zum voraus zur Strumpf und Kleider-Noth. Doch dieser dencket noch bey alle seinem trödlen, auf etwas nützliches: Merckts wohl hier reimt der Todt!

Wir wollen gantz und gar von Kleider-Moden schweigen, die uns das gute Volck hat eifrig nachgemacht. Was gilts? Sie werden bald sich in Corsetten zeigen, den Anfang haben sie in der gesteifften Tracht. In Franckreich lassen sie sich schon die Taillen schnitzen, damit ins künftige der Reif-Rock passen soll. Da wird sich mancher erst die Mutter Ursel spitzen, und dencket doch darbey, es stünd Ihm treflich wohl.

Wiewohl dies sey genug! Nun mag man iudicieren, ob das, was thöricht ist, nicht vielmehr männisch sey? Die Unpartheylichkeit mag hier das Richt-Amt führen, sie fält uns gantz gewiss in allen Stücken bey. Der Raum befiehlet uns das Lobgedicht zu schliessen.

Was sprecht ihr? Lobgedicht? Ja freylich Lobgedicht! Wer nicht getroffen ist, dem darf es nicht verdriessen, wir tadeln, das sey fern, ja das Geschlechte nicht. Die Tugend muß an sich die anderen erheben, wir fürchten keinen Zorn und dencken in dem Sinn, die sind hier nicht gemeynt, die sonder Fürwurff leben. Doch wer will böse seyn, der sei es immerhin.

Wohlan wir wollen nun zu unserm Vorsatz schreiten, und den getreuen Wunsch nach Pflicht und Schuldigkeit auf diesem frohen Tag dem Braut-Paar zubereiten, der Mund ist schon geschickt, das Hertz ist auch erfreut.

Der Himmel cröne DICH mit Wohlfahrt, Heyl und Ehren, und nie gestöhrter Lust, sehr werth geschätztes Paar. DEIN Glücke müsse sich wie DEINE Tage mehren, und was daran noch fehlt, das kömmt ein ander Jahr.

(Die Sammlung von Gelegenheitsschriften wird z.Zt. im StadtA erschlossen, zit. aus Bd. 1.2./ II Za 13, unpag., Text orthographisch leicht korrigiert)