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Beitrag von: Dr. Wolfram G. Theilemann

„Wo es auf Menschenleben ankommt, darf man nicht sparen.“ Ein Loblied auf medizinische Kompetenz aus 1751

Heutzutage, so konnte man unlängst in einer hochangesehenen Kulturzeitschrift von einem Professor lernen, komme es der akademischen Wissenschaft meistens darauf an, andere klein zu machen. Schließlich gehe es um Wettbewerb nach Pfründen, Ruhm und natürlich Wahrheit, der zur Überprüfung und Kontrolle ansporne. Das tue man z.B. durch bissige Fußnoten, spöttische Randbemerkungen beim Kaffee oder einfach mit grandioser Ignoranz, indem man Leistungen anderer gar nicht erwähnt… Ungewöhnlich offene Worte, doch wenn dem wirklich so sein sollte, scheint es auch ein beliebtes Rezept in anderen Berufen zu sein, wie u.a. manche „Talk-shows“ illustrieren. Selbst beim Thema „Impfpflicht ja – nein?“ geht es selten anders zu. Respekt vor dem Andersdenkenden, Ausgewogenheit und das Römerwort vom „audiatur et altera pars“ ziehen da oft den Kürzeren.

Das war und muß nicht immer so sein – und daran dürften auch Nordhäuser ihren Anteil gehabt haben. So z.B. der Lehrer, Sprachwissenschaftler und Gymnasialrektor Johann Andreas Fabricius (1696-1769), der als „Ferrando III. Eisenkraut“ auch aktives Mitglied im Pegnesischen Blumenorden war. Neben seiner Lehrtätigkeit sammelte und schuf er auch selbst Gelegenheitsgedichte, die seinerzeit groß in Mode waren. Als Flugblatt gestaltet und ansprechend illustriert, wurden sie für Geburtsgratulationen, Hochzeitsfeiern, Leichenbegängnisse, Abschiedsfeiern o.ä. Anlässe gedruckt und z.T. öffentlich vorgetragen. Daß es in Fabricius‘ Sinne ratsam war,– egal in welcher Schicht – andere auch zu loben oder mindestens zu würdigen, zeigt ein jüngst in seiner im Stadtarchiv aufbewahrten Sammlung entdecktes Lobgedicht.

Titelblatt des Gedichts.

Es wurde von den im „Saal-Athen“ d.h. an der Universität Jena studierenden Landsleuten des Philipp Bernhardt Pettmann (1726-1790) aus Frankfurt/M. gereimt, als er 1751 die Würde eines „Dr. med.“ errungen hatte. Dabei war er nicht gerade irgendwer: Cousin des J.W. (v.) Goethe zu sein, war zwar noch kein eigener Verdienst, Leibarzt der Familie Goethe zu werden und der medizinische Doktortitel dann schon eher. Doch Pettmann bewies seine Berufung und medizinische Kompetenz zur Hilfe für Kranke vor allem im echten Berufsleben als Stadtphysikus und Geburtshelfer für Reiche und den sogenannten „Pöbel“ in der Reichsstadt Frankfurt/M. Dabei hatte er gegen Ignoranz, Nachlässigkeit und lebensfremde Sparfüchse zu kämpfen. Daraus entstand 1766 – in einer Zeit von weit verbreitetem Kindbettfieber oder „Kindsblattern“, an denen damals noch bis zu 10 % aller Kleinkinder starben (!) – auch sein im Titel zitierte Vorwurf an die Frankurter Ratsherren. Wie damals medizinisches Personal ‚wertgeschätzt‘ wurde, bringt das von J.A. Fabricius sorgsam aufbewahrte, wenngleich ein wenig holprige Gedicht auf den Punkt:

„Der Pöbel schätzt die Kunst der Aerzte zwar vor Grillen,

Weil ihre Hand, sobald sie nur den Puls gefühlt,

Nicht gleich den Schmertzen hebt, der in den Adern wühlt,

Weil nicht die Kraft so gros in den verschriebnen Pillen,

Daß gleich den andern Tag die Kranckheit schon entweicht,

Und eine Munterkeit das Angesicht erheitert;

Weil seine Wissenschaft nicht solche Mittel zeigt,

Woran des Todes Macht den Augenblick zerscheitert.

Allein er richtet blind. Wer die Verdienste kennet

Von dieser Wissenschaft, den blendet nicht der Wahn,

Den nur der Pöbel nimmt zum Grund im Urtheil an.

Er wird, sobald man nur die Kunst mit Namen nennet,

Was sie vorzüglich macht und ihren Preiß erhöhn.

Den, der sich ihr geweiht wird er vor glücklich preisen,

Und gar nicht auf den Spott des tollen Pöbels sehn,

Denn sonsten müste man ihn selbst dahin verweisen,

Es giebt wohl manchen Artzt, der nicht vielmehr verdienet,

Als daß des Pöbels Troß ihn mit Verachtung strafft;

Allein der Fehler, der an einem Aste hafft,

Macht nicht, daß übrige, der gantze Baum nicht grünet.

Man folgert demnach falsch und mit dem Pöbel schlecht,

Wenn man von einem Glied auf gantze Cörper schließet,

Man sieht erst, wenn man hat das gantze überlegt,

Ob Ungereimtheit uns aus dem Begriffe fliesset.

Bey Aertzten muß man nur auf ihre Einsicht mercken,

Und ob sie selbige auf die Vernunfft gebaut,

Nein oder ob ihr Geist bloß der Erfahrung traut,

Ob sie Erfahrung nicht durch die Vernunfft bestärcken.

Ist jenes, so verfolgt sie würdig Ruhm und Glück,

Trifft aber dieses ein, mag man sie immer zehlen

Zum Pöbel, oder wo das wiedrige Geschick

Dieselbe einen Platz auf Erden heist erwehlen. (…)“

Die Sammlung wird z.Zt. im StadtA erschlossen, zit. aus Bd. 1.2./ II Za 13, unpag.