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Beitrag von: Dr. Wolfram G. Theilemann

„… da wir uns nach der Bürgerschaft richten müssen und nicht sie nach uns …“

Ein Brief des Schulrektors Johannes Clajus an den Nordhäuser Rat

Wenn wir heute noch Deutsch können, dann sicher auch deshalb, weil fleißige Lehrerinnen und Lehrer diese Sprache gepflegt, verbessert und gelehrt haben. Als ein ganz besonderer Grammatiklehrer gilt Johannes Clajus (1535 – 1592), der 1570 Schulmeister am Gymnasium in Nordhausen wurde und hernach bis zu seinem Tode Pfarrer im schwarzburgischen Bendeleben war.

Daß aber Sprache wie Moral leicht ins Elend sinken, wenn man nicht genug zum Leben hat, wusste auch schon Clajus. Darum vertrat er nicht nur möglichsten Fortschritt in der Schulbildung der Jugend, sondern auch seine eigenen Interessen, ganz nach den auch heute noch üblichen Standards: Jedem das Seine, Leistung muß sich lohnen, der Kunde ist König und – ich trage doch die Verantwortung!

Da der öffentliche Dienst im reichsstädtischen Nordhausen damals noch eine volle 7-Tage-Woche zu schaffen hatte und dafür bei weitem nicht annähernd so gut besoldet wurde, wie späterhin, mußte sich die Lehrerschaft fallweise Zusatzverdienst – „Akzidentien“ genannt – erwerben. Das mochte Privatunterricht, Schreiberdienste, literarische Werkarbeit, Gelegenheitsgedichte oder -kompositionen bedeuten. Doch darunter fiel in Nordhausen u.a. auch das Neujahrssingen mit den Gymnasiasten für die feierlaunige Bürgerschaft, was von ferne an die heutigen Kurrendaner im Advent oder Sternsinger erinnern mag. Das Nordhäuser Neujahrssingen dauerte allerdings üblicherweise ganze acht (8) Tage, da man ja die gesamte Bürgerschaft zu erfreuen gedachte und jedes Haus wenigstens der Altstadt drankommen sollte – damit auch etwas an Gegengaben einkam für die nicht selten müden und verfrorenen Sänger. Doch auch hier blieb man um 1570 gut ständisch gesinnt und zudem politisch korrekt:

Dieses leicht turbulente Neujahrsbrauchtum wurde darum vom Rat per „Dekretum“ geordnet. Die Nebenverdienste sollten strenger überwacht, ja gekürzt werden. In der weniger betuchten Neustadt und den Vorstädten sollten nur die Schüler singen dürfen, nachdem sich das ja ebenfalls mittuende Lehrpersonal hinreichend hatte bedanken lassen. Und die Schüler dürfen dann auch die erhaltenen Gaben behalten (!). Zudem sollten auch die Jungen nicht unaufgefordert in Häuser gehen, um nach dem Gesang womöglich allzu nachdrücklich Gaben zu erbitten, auch „nicht zu lange in der Nacht, zur Versehrung ihrer Gesundheit und Versäumung der Studien“ unterwegs sein. Das konnte natürlich nicht ohne Konflikt und Verteilungsstreit abgehen…

Man kann all das entnehmen aus ebenjenem jüngst im Original wiederentdeckten Klagebrief jenes Nordhäuser Rektors des bald nun schon 500 Jahre alten Nordhäuser Gymnasialwesens. Zugleich verbindet sich damit die Erinnerung an eine alte Archivweisheit: ‚Nicht alles ist gänzlich verloren, oft ist es nur verlegt…:‘ In den BGNDH 18/1993, S. 34f. veröffentlichte Dr. Peter Kuhlbrodt 1993 erstmals eine Abschrift jenes Briefes, den er in den damals herausgegebenen „Collectanea Northusana“ gefunden hatte und angesichts der großen Schriftgutverluste A.D. 1945 für die einzige erhaltene Überlieferung des Briefes halten musste.

Nun aber wurde nach 30 Jahren die originale und durchaus wohlerhaltene Briefschaft von Clajus‘ eigener Hand entdeckt. Denn einer von Dr. Kuhlbrodts Vorgängern, Stadtarchivar Hermann Heineck, hatte sie in seinem Forscher- und Ordnungseifer wohl um 1920 in einen „Sammelband zur Geschichte des Gymnasiums“ einbinden lassen. Der Band enthält fast ausschließlich Drucksachen zur Nordhäuser (Real-) Gymnasialgeschichte zwischen 1808 – 1914, teilweise aus dem Nachlass des Heimatforschers Carl Riemenschneider. Dieses Stück landete zunächst im Bestand des Museums und wurde später in die Archivbibliothek überführt, freilich ohne auf den genaueren Inhalt zu achten oder tiefere Erschließung zu leisten. So vergaß man selbst im Archiv die Existenz des Originalbriefes….

Hier aber nun endlich der in heutige Umgangssprache übertragene Klagebrief des „Schulmeisters“. Er dürfte wohl manch anderem Brief vergleichbar sein, der seither von nachfolgenden Pädagoginnen und Pädagogen an ihre Dienstherrschaft mit ähnlichem Anliegen und in ähnlicher Lage geschrieben wurde….

„Achtbare, ehrbare hochweise Herren !

Es ist mir von einem Schulherrn im Namen des ganzen ehrbaren Rates ein Schreiben zugestellt worden, darin vermeldet wird, daß der Rektor keinen Anteil am Gelde mehr haben soll, welches zum neuen Jahre mit „umbsingen“ gesammelt wird, er nurmehr die Verehrung [einen Neujahrsbonus erhalten soll], die ein ehrbarer Rat im [Rats-Wein-) Keller zu geben pflegt.

Nun kommt mir es beschwerlich vor, daß ich, der ich das Jahr über von einer Kirche zur andern gehen muss und mich nie beschwert habe, bei der Figuralmusik [dem mehrstimmigem Chorgesang im Gottesdienst] allenthalben anwesend sein zu müssen, sollte nun von dem Nebenverdienst abgewiesen werden, obwohl ich ohne jenen keine [anderen] Nebenverdienste über das Jahr hin habe.

Darnach meldet das Schreiben, das man bei Tag und nicht bei Nacht „umbsingen“ solle! Nun wissen E. a w., daß wir am Sonntag den ganzen Tag in der Kirche sind und in der Woche den ganzen Tag in der Schule zu tun haben, daß wir also keine Zeit haben, es sei denn des Abends. Wir gehen ja niemand gegen seinen Willen in sein Haus, bleiben auch nirgends als dort, wo man uns nachdrücklich nötigt und einlädt.

Drittens soll man sich [nach dem Gesang] schleunigst fortmachen, was auch nicht sein kann, da wir uns nach der Bürgerschaft richten müssen und nicht sie nach uns. Wäre es anders, würden wir schlecht abgewiesen.

Zum letzten scheint es mir nicht billig, das alle Kollegen den gleichen Anteil erhalten sollten, weil etliche von ihnen kein mal bei an der Musik teilnehmen, etliche auch in ihrem Amt faul und säumig sind, wie heute seitens [Johannes] Noricus geschehen, der heute ohne mein Wissen und Wille heut aus der Schule fehlte.[1] Weil dem allen so ist, bitte ich untertänig, E a. w. wollen hierin eine andere Lösung herbeiführen und beschließen. Ich verdiene mir solches wiederum mit willigem Fleiß und Treue.

Ich wünsche hiermit einem achtbaren weisen [Rat] ein glückseliges neues Jahr.“

Eines achtbaren weisen [Rates] dienstwilliger

Johannes Claius

Schulmeister“

Dem achtbaren ehrbaren und hochweisen Herren Bürgermeister und ganzem Rat der kaiserlichen Stadt Nordhausen, meinen günstigen Herren.


[1] Hier ist Johannes Noricus (1516-1583) gemeint, der seit 1547 an St. Jacobi als Pfarrer amtierte, aber seit einem Streit mit dem Oberpfarrer an St. Nicolai am Gymnasium unterrichtete.