„Beendet in der ausgezeichneten Stadt Nordhausen im Jahr 1483 am Montag nach Laetare [10.03.1483]“. Mit diesen Worten schloß ein unbekannter Schreiber eine insgesamt 389 Blätter umfassende Handschrift von Gebeten und praktischen Handlungsanweisungen für den alltäglichen Gebrauch in deutscher und lateinischer Sprache. Zum Kauf angeboten wurde dieser Codex am 25.10.2022 auf einer Auktion des Antiquariats Reiss & Sohn in Königstein/Taunus. Dank der Unterstützung durch einen namhaften Kenner des Auktionsmarktes und der großzügigen Einsatzbereitschaft der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung konnte sie die Handschrift in Zusammenwirken mit der Stadtverwaltung für über 12.000,- € erwerben.
Die Lesser-Stiftung fördert bekanntlich seit 1992 nordthüringische Denkmalpflege und die Forschung zur Landesgeschichte Thüringens und Mitteldeutschlands, insbesondere die reichsstädtische Geschichte. Das Manuskript wird von der Stiftung am 20.01.2023, 17.00 Uhr, im Museum Tabakspeicher als nunmehr öffentliches Archivgut an die Stadtverwaltung übergeben.
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Der Band wird künftig im Stadtarchiv unter der Signatur 1.2./ II Oc 13 aufbewahrt und damit benutzbar. Inhaltlich hervorzuheben sind u.a. Kreisdiagramme sowie Seiten mit Tabellen aus dem Bereich der Astronomie und Astrologie (Bestimmung der Goldenen Zahlen und des Sonnenaufgangs und -untergangs, Aderlasskalender usw.). Eröffnet wird die Handschrift von einem Kalender, dem Ergänzungen für die Jahre von 1513 bis 1602 vorgeschaltet wurden, so dass der Band offenbar auch noch im 16. Jahrhundert in Benutzung war. Dem folgen Diagramme und Tabellen aus Astrologie und Astronomie. Danach beginnt der Textteil in deutscher und lateinischer Sprache, der als „umfangreiches Kompendium verschiedener liturgischer und anderer Texte“ bezeichnet werden kann. Hier finden sich Informationen über Körpersäfte, Stundengebete, Bußpsalmen neben verschiedenen Gebeten und Hymnen sowie praktische Handlungsanweisungen.
Da im Auktionskatalog zur Provenienz der Handschrift nur auf den 1988 bei Sotheby’s erfolgten Verkauf verwiesen wurde, lag zunächst die Vermutung nahe, die Handschrift könnte 1945 aus Nordhausen als Beutegut ‚mitgenommen‘ worden sein. Dieser Verdacht bestätigte sich nicht, denn es scheint eher wahrscheinlich, dass sie aus einem der aufgelösten Klöster bzw. einem Pfarrarchiv der Stadt stammt oder vielleicht bei der Aufhebung des Reichsstiftes „Zum Hl. Kreuz“ 1810 verkauft wurde. Jedenfalls wurde sie über ein Berliner „Bücher-Lager“ 1854 zum Kauf angeboten und ist wenig später nach Amerika gelangt. 1988 kam der Band in London bei „Sotheby’s“ unter den Hammer und nun wieder 2022.
Wie etwa 2014 bei der Himmelgarten-Bibliothek und der Bürgermeisterkette oder der 2017 wiedergefundenen Siegelsammlung sollte aber nunmehr die Odyssee auch dieses wertvollen Nordhäuser Kulturgutes ein Ende haben und das Manuskript am 20.01.2023 seinen Weg offiziell wieder in das öffentliche Archiv seiner Entstehungsstadt Nordhausen finden.